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Rede von Hermann Gröhe im Deutschen Bundestag

Als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Arbeit und Soziales bezog Hermann Gröhe im Deutschen Bundestag Stellung zu den Vorhaben der neuen Bundesregierung.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Unser leistungsfähiger Sozialstaat bewährt sich gerade in Krisen. Darauf sind wir stolz, auch auf den Beitrag, den wir in den letzten Jahren im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geleistet haben. Auch die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt - die Arbeitslosigkeit sank auch 2021 - gehört zu unserer gemeinsamen Bilanz. Ich freue mich, dass die geschätzte Staatssekretärin als Bezugspunkt für die Erfolgsgeschichte auf dem Arbeitsmarkt das Jahr 2005 gewählt hat. Das ist richtig, das war der Beginn der Kanzlerschaft von Angela Merkel, meine Damen, meine Herren.

Auch als Opposition werden wir unseren Beitrag zu einer zeitgemäßen Weiterentwicklung des Sozialstaats und zu seiner Festigung leisten.

Zugleich hat sich in der Krise gezeigt: Kraftvolle Solidarität braucht wirtschaftliche Stärke. So hat unsere solide Finanzpolitik Spielräume für umfassende Hilfen für Wirtschaft und Arbeitsplätze ermöglicht. Eine trotz der Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags prall gefüllte, milliardenschwere Reserve der Bundesagentur für Arbeit ermöglichte schnelle und umfassende Verbesserungen beim Kurzarbeitergeld. Dadurch konnten Hunderttausende Arbeitsplätze gesichert werden.

Dies unterstreicht unsere Überzeugung: Wirtschaftliche Vernunft und soziale Verantwortung gehören untrennbar zusammen. Das leitete uns beim Regierungshandeln und wird auch nun unser Maßstab für die Bewertung Ihres Handelns sein. Damit einher geht ein Verständnis von sozialstaatlichem Handeln, das auf so viel Befähigung zu Eigenverantwortung und Teilhabe, auf so viel Eröffnung von Wegen in den Arbeitsmarkt wie möglich zielt.

Ausgehend von dieser Leitlinie findet manches in Ihrem Koalitionsvertrag unsere ausdrückliche Zustimmung. Anderes hinterfragen wir kritisch oder lehnen es ganz ab. Unterstützung findet die geplante Entfristung des Teilhabechancengesetzes. Die Förderinstrumente Lohnkostenzuschuss und intensive Begleitung haben sich bewährt. Auch der beabsichtigte Ausbau der Förderung schwer zu erreichender junger Menschen ist sinnvoll.

Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang eine persönliche Anmerkung: Die Schaffung dieser Förderung in § 16h SGB II war unserem vor einem Jahr verstorbenen Kollegen Karl Schiewerling ein besonderes Anliegen.

Ihn trieb wie viele von uns der Wunsch um, dass auch diese jungen Leute erfahren: Du wirst gebraucht. Ich freue mich über die geplante Ausweitung und denke dankbar an einen großartigen Kollegen.

Meine Damen und Herren, auch die Stärkung der Aus- und Weiterbildung findet unsere grundsätzliche Zustimmung. Es lohnt sich, Arbeitslosigkeit am besten zu verhindern, indem rechtzeitig Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Veränderungen in der Arbeitswelt vorbereitet werden. Wichtig ist, dass geförderte Weiterbildung immer tatsächlich die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessert. Eine entsprechende Förderung muss eigene Anstrengung der Wirtschaft und der Sozialpartner anreizen und darf nicht dazu führen, dass solche Aktivitäten zurückgefahren werden.

Meine Damen und Herren, auch in der Sozialpolitik gilt: Nicht alles, was wünschenswert ist, ist auch finanzierbar. Leistungsversprechen ohne Beantwortung der Frage nach ihrer Finanzierbarkeit sind nicht seriös, schwächen das notwendige Vertrauen in den Sozialstaat. Ihr Koalitionsvertrag ist voller solcher Leistungsversprechen ohne Preisschild. Es reicht in der Rentenpolitik eben nicht aus, die Beitragsentwicklung allein in dieser Wahlperiode im Blick zu haben.

So bleibt Verlässlichkeit im Generationenvertrag auf der Strecke. Zudem fällt auf: Es fehlt bei Ihnen ein klares Bekenntnis zur Stabilität der Sozialversicherungsbeiträge. Steigende Beiträge aber gefährden Arbeitsplätze und belasten gerade die Bezieher kleinerer Einkommen.

Damit möchte ich auch eine Bemerkung zum Thema Mindestlohn machen: Auch wir - das sei klar hier festgestellt - haben nichts gegen einen spürbaren Anstieg des Mindestlohns. Ja, es gibt gute Gründe dafür. Aber wir sind gegen einen politischen Mindestlohn. Bei der Vorstellung der Mindestlohnkommission im Februar 2015 unterstrich die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles, dass man einen solchen politischen Mindestlohn gerade nicht wolle,  weil dies, so sagte sie wörtlich, „Willkür und Populismus Tür und Tor öffnet“ - Zitat Andrea Nahles.

Gerade wenn man so stolz darauf ist, ein Wahlplakat ins Bundesgesetzblatt zu bringen, sollte man sich fragen, ob man nicht dieser Gefahr erlegen ist. Sie schwächen durch Aushebelung von mehr als 100 Tarifverträgen die Tarifpartnerschaft, zu deren Stärkung Sie sich zu Recht an anderer Stelle im Koalitionsvertrag bekennen. Das ist der falsche Weg zu einem nachvollziehbaren Ziel.

Die Weiterentwicklung der Grundsicherung zu einem sogenannten Bürgergeld ist eines der größeren Vorhaben dieser Regierung. Dass zunächst Experten den Vorschlag konkretisieren sollen, ist angesichts der Komplexität sehr verständlich. Aber bei einer Debatte in der letzten Sitzungswoche im letzten Jahr über Anträge der Linken konnte man nicht den Eindruck gewinnen, dass die Koalitionsfraktionen schon ein gemeinsames Verständnis von dieser Reform haben. Die einen sprachen über eine bessere Verzahnung von Leistungen und eine stärke Vermittlung in den Arbeitsmarkt, die anderen von erhöhten Leistungen und abgesenkten Mitwirkungserfordernissen. Unsere Haltung ist klar: Eine bessere Verzahnung unterschiedlicher Hilfesysteme und die Stärkung der Vermittlung in den Arbeitsmarkt findet unsere Zustimmung, einen schrittweisen Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen lehnen wir entschieden ab.

Sie sollten übrigens auch nicht so tun, als sei das weitgehend von SPD und Grünen geschaffene System der Grundsicherung eine Schikane, die Leistungsbezieher entwürdige. Das haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern wahrlich nicht verdient, meine Damen, meine Herren.

Bei der Rente wird es von Ihren konkreten Vorschlägen abhängen, ob wir die Alterssicherung, die Vertrauen über lange Zeiträume braucht, weitgehend im Konsens gestalten. Wir sind dazu bereit. Dabei muss es vor allem um die langfristige Verlässlichkeit gehen. Die Aktivierung des Nachholfaktors, die Verbesserung der Erwerbsminderungsrenten im Bestand - sehr kompliziert wegen der unterschiedlichen Erwerbsbiografien und Rechtslagen - und die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige finden unsere Zustimmung.

Richtig ist es, Elemente der Kapitaldeckung ergänzend vorzusehen. Der notwendige Neustart in der privaten Altersvorsorge ist bisher an der SPD gescheitert; wir wollen ihn. Auch in der Rentenversicherung selbst kann ein solches Element durchaus sinnvoll sein. Wir haben 2015 mit dem Pflegevorsorgefonds genau ein solches Element in der Pflegeversicherung eingeführt. Ich sage aber: 10 Milliarden Euro für einen Kapitalstock werden bei Weitem nicht ausreichen, um den Beitragsanstieg auch nur nennenswert abzumildern. Hier darf nicht zu kurz gesprungen werden.

Insgesamt gilt: Wir werden Ihre Arbeit kritisch und konstruktiv begleiten und eigene Vorschläge mit dem Ziel machen, unseren Sozialstaat weiterhin zukunftsfest zu gestalten.

Herzlichen Dank.